Sonntag, Dezember 11, 2005

Gespräche über Gott und die Welt 2

Pastroraltheologin, Werteforscherin Regina Polak von der Universität Wien im Gespräch mit dem Falter letzte Woche 48/05

Wie wichtig ist Glaube in der westlichen Welt heute noch?

Wenn man sich die Studien der letzten Jahre in Europa anschaut, ist bemwerkenswert, dass die Säkularisierungsthese bei den Menschen selbst nicht wirklich zutrifft - schon 1980, bei der ersten europäischen Wertestudie, kam heraus, dass sich zwei Drittel der Europäer als religiös definieren. Das säkulare Europa findet man in den Institutionen, das ist auch gut so - aber die Leute selbst sind religiös. Was sich verändert hat, ist, dass die Menschen mitreden wollen, was Religiosität bedeutet, und dass sie ihre eigenen spirituellen Erfahrungen thematisieren wollen. Es gibt im religiösen Bereich kein Expertenmonopol mehr, das ist der größte Umbruch, den wir dezeit bemerken. Religion und Politik werden bei der Frage nach den wichtigsten Lebensbereichen immer an letzter Stelle genannt. Religion als Institution wird abgelehnt, aber Spiritualität ist höchst modern.

Sind gläubige Menschen eigentlich die besseren Menschen?

Es gibt ein gewisses Zusammenspiel von religiösem Selbstverständnis und Solidarität. Wir haben festgestellt, dass Jugendliche, die religiös sind, egal welcher Glaubensrichtung und egal, ob das Religion oder Esoterik ist, wesentlich höherer Solidarwerte als nichtreligiöse haben. Diese jungen Leute sind auch mehr in sozialen, kulturellen Vereinen engagiert. Was der theologischen Überlegung entspricht, dass religiöses und politisches Verhalten zusammenhängen - nur muss man dieses Zusammenspiel zivilisieren. Andererseits gilt: Religion ist zwar ein zentraler Lebensraum der Gesellschaft, aber nicht die einzige Wertestifterin. Es gibt ja auch Menschenrechte, ein humanitäres Ethos, das ohne Gott zurechtkommt, es gibt Agnostiker, die sich sozial engagieren und tolle Sachen auf die Beine stellen. Das, was die Gesellschaft zusammenhält, ist Geist.